An dieser Gleichung zweifele ich ja schon länger, wobei Beispiele wie der Flughafen BER, oder die „unerwartet langen“ Liefervezögerungen bei VW im Rahmen der WLTP-Einführung ja vielleicht auch einigen Zeitgenossen schon einen solchen Hinweis gegeben haben.
Aus dem gegebenen Anlass einer Reise durch Asien stelle ich aber fest, dass Deutschland mittlerweile im Vergleich eher den Stand eines Entwicklungslandes einnimmt. Beispiele gefällig?
- Nahverkehr in Taichung / Taiwan (drittgrößte Stadt des Inselstaates): nach jahrelangen Stauproblemen hat man hier vor einigen Jahren eine ÖPNV-Offensive gestartet. Es wurden beschleunigte Schnellbusspuren eingerichtet, mittlerweile fahren rund dreißig Prozent der Stadtbusse elektrisch (Yutong, chinesisches Fabrikat).
Derweil überlegt die VAG Nürnberg, ob sie zu ihrem ersten E-Bus evtl. noch einen zweiten beschaffen sollen …
Eine U-Bahn baut Taichung seit zwei Jahren auch – allerdings nicht unterirdisch, sondern auf großen Betonstützen oberhalb der Hauptverkehrsachsen der Stadt. Inbetriebnahme demnächst.
Wie lange dauert in Nürnberg die Umsetzung einer Stadt-Umland-Bahn? Seit zwanzig Jahren wird geplant …
- Nahverkehr in den asiatischen Grossstädten: hier gibt es oft ein sehr dichtes Bus- und Bahnnetz. Die Tarifgestaltung meist simpelst – man kauft eine Guthabenkarte, diese wird beim Betreten und Vrlassen des Verkehrsmittels durchgezogen und der geringe Fahrpreis wird abgebucht. Tageskarten – sofern verfügbar – gelten echte 24 h ab Kauf.
In Nürnberg kostet eine Einzelfahrt mittlerweile mehr als drei Euro. Tagestickets nur am Kauftag gültig. Usw.
- Individualverkehr in Taiwan, Japan, Hongkong, Macao und Korea:
Zwischen dreißig und sechzig Prozent der Fahrzeuge im Straßenbild sind Hybriden, auch Kleinstwagen (in Japan: „Kei-Car“-Klasse mit max. 3,60 m Länge). Echte Elektrofahrzeuge sind mit ca. 10% vertreten, aber i.d.R. nicht von deutschen Herstellern. Die Präsenz deutscher Hersteller ist in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen … warum nur?
Mich erstaunt allerdings, dass Hersteller wie Toyota ihre Hybridflotten nicht auch in Europa anbieten. Die Technik haben sie jedenfalls fertig, auch für „billige“ Fahrzeuge. Deutsche Hersteller bieten sowas aber nur in den teuersten Klassen an („billig“ gibt’s da eh nicht mehr).
Wieviele Hybriden oder gar Elektrofahrzeuge sind in Deutschland auf der Straße? Der typische Kunde kauft mittlerweile vielleicht keinen VW-TDI mehr, aber dennoch einen Verbrenner …
Oh Mann.
- Internetzugang in Asien: nahezu überall freies WiFi, außerdem ist LTE oder 4G Standard und kann billigst über SIM-Card oder portable Hotspot erworben werden.
Deutschland? Ein Blick auf die Preislisten der Telekom sorgt für Ernüchterung. Free WiFi? Auch eher selten.
Weitere Beispiele folgen …
Das ist der entscheidende Punkt. In Asien sucht man nach Lösungen. Wir hängen in unserem Anspruchsdenken fest – und unserem kulturellen Dünkel.
Das geht so weit, dass wir uns gegenseitig wegen E-Autos „zerfleischen“ und dabei übersehen, dass der Trend nicht die abgehobene Idee von ein paar deutschen Öko-Freaks ist, sondern ein weltweites Phänomen, das wir in unserer grenzenlosen Selbstbezogenheit schon zur Hälfte verschlafen haben.
Ich dachte zuletzt, wir hätten immerhin noch ein paar Jahre, bevor die Chinesen unseren Markt überschwemmen. Ich dachte, die sind erst einmal mit ihrem riesigen Binnenmarkt beschäftigt. Aber weit gefehlt: Die haben beiläufig noch Muße, London mit E-Bussen auszustatten, in Marokko direkt am Hafen gegenüber von Gibraltar eine neue Fabrik zu bauen. Und die ersten kleinen Stadtflitzer sind schon in Österreich und kommen in Kürze auch zu uns.
Pikant ist daran: Die beiden deutschen Start-ups, die diesen Markt bedienen, haben zwar schon viele Vorstellungen, sind aber mit der Produktion nicht im Plan. Und die Chinesen liefern nun ein Modell mit ähnlicher Ausstattung in 1-3 Monaten. Chapeau!
LikeLike