Altblech-Roadtrip durch Finnland und Schweden …

Prolog

Irgendwann im Januar 2024 erschien in der „Sternzeit“ ein Thread, der sich mit der Frage befasste, ob denn vielleicht Interesse an einer gemeinsamen Ausfahrt nach Nordschweden bestünde – Zielgruppe waren (natürlich) primär die Fahrer von R/C107.

Ich hatte das seinerzeit gelesen und leichtsinnigerweise mit „klingt ja spannend“ oder so ähnlich kommentiert … war dann aber schnell wieder darüber hinweggekommen: das Jahr 2024 war mit etlichen Ausfahrten und Veranstaltungen gut besetzt, ausserdem hatte es einen Neuzugang im Fuhrpark gegeben.

Bis sich dann im Herbst auf einmal der in Schweden lebende Initiator der Rundfahrt meldete und ganz konkret wissen wollte, ob ich denn nun mitfahren würde – Mist, hatte ich wieder mal zu früh die Klappe aufgerissen? 

Die Ausschreibung sah ja tatsächlich vielversprechend aus: Anreise mit der Fähre von Travemünde nach Helsinki, einmal quer durch Finnland und mit der nächsten Fähre von Vaasa (Finnland) nach Umeå (Schweden), dann dort gemütlich von Hotel zu Hotel die Ostseeküste herunterfahren und irgendwann von Göteborg aus wieder nach mit der Fähre nach Kiel zurückkommen.

Nach einer kurzen Abstimmung mit Ehefrau und Freunden aus Berlin fiel dann aber doch die Entscheidung, das Abenteuer wagen zu wollen.

Ich schätzte die Fahrtstrecke für die rund zweieinhalbwöchige Tour auf rund 3500 km.

Die Tour 🏁

Hatte ich geplant, die Tour mit dem SL zu fahren? Ja. 

Habe ich das auch getan? Nein. 

Warum nicht?

Letztlich gaben praktische Erwägungen den Ausschlag: ein R107 hat zwar einen vergleichsweise großen Gepäckraum, aber für zwei Personen und knapp drei Wochen kann das doch knapp werden, außerdem steht uns ja mit dem W126 ein wunderbarer Reisewagen zu Verfügung, der Komfort und Platz bietet und in der letzten Zeit etwas wenig genutzt worden ist. Die Wetteraussichten in Richtung Polarkreis können oft auch Regen und einstellige Celsiusgrade mitbringen, da ist ein wasserdichtes Stahldach auch kein Fehler.

Wir nutzten also die unendlichen Weiten des W126-Kofferraumes, luden einen halben Hausstand sowie etwas Werkzeug ein und starteten zu unseren Freunden nach Berlin, um von dort aus gemeinsam nach Finnland zu reisen.

🇫🇮 Finnland? 

Dort waren wir alle noch nie, und deshalb erschien es uns angemessen und sogar zwingend notwendig, von der Tourplanung abweichend bereits drei Tage früher anzureisen und etwas Zeit in Helsinki und Tampere zu verbringen.

Helsinki – als finnische Hauptstadt – ist bemerkenswert: vom Finnlines-Fähranleger gelangt man in einer zwanzigminütigen Fahrt über breite und leere Strassen sehr angenehm mitten ins Zentrum der Stadt, wo wir ein schönes Hotel samt Tiefgaragenplätzen gebucht hatten.

Die Stadt ist zwar nicht sehr groß, bietet aber doch einige Sehenswürdigkeiten; wir bewunderten die moderne Felsenkirche ebenso wie den Dom und die Basilika, genossen eine Bootsrundfahrt und begannen eine Diät, die uns zum Ende der Reise eine deutliche Gewichtszunahme beschert haben sollte.

Helsinki ist auch architektonisch interessant: Art-déco-Bauten, Jugendstil, breite Straßen mit Grünanlagen, und ab und an tauchen sogar merkwürdige alte Autos französischer Provenienz auf.

Die weltweit nördlichste U-Bahn-Strecke mit einem 33 Meter unterhalb der Ostsee gelegenen Bahnhof muss man ja auch mal benutzt haben, oder? Eben.

Auf dem Weg nach Tampere findet man die Burg Häme (sehenswert), direkt daneben ein Artilleriemuseum (vermutlich auch sehenswert?) und ein paar Kilometer weiter dann das Parola Tank Museum, welches uns zu einem geplanten Zwischenstopp animierte.

Für die Finnen war ein starkes eigenes Militär schon immer lebenswichtig, und von daher hat die Bevölkerung ein sehr entspanntes und aufgeschlossenes Verhältnis zu ihren Streitkräften.

Im Panzermuseum herrschte Hochbetrieb, und es gibt dort viel zu sehen: einen Panzerzug kannte ich bislang nur aus der Literatur – hier steht einer. Jede Menge gepanzerter Rad-, Ketten- und Schienenfahrzeuge, technische Details, eine „Motorenhalle“; uns wurde die Zeit knapp, denn wir mussten ja weiter nach …

… Tampere, welches uns  mit einer sehr großzügigen Tiefgarage im Stadtzentrum empfing; das gebuchte Hotel lag zentral und die abendliche „Mustamakkara“ schmeckte zum Bier vorzüglich.

Am nächsten Morgen wollten wir nach einem kurzen Rundgang durch die Stadt bald wieder los: es warteten über 300 km auf uns, und wir sollten ja pünktlich zum Treffen mit den anderen Tourteilnehmern in Vaasa ankommen.

Streckenansichten wie hier habe ich mir bislang nur in USA oder Kanada vorstellen können, aber wir fuhren -zig Kilometer nur geradeaus, auf gut ausgebauten Strassen schnurgerade durch den Wald, lange auch ohne Begegnungen mit anderen Autos. Ein Roadtrip, faszinierend, aber irgendwie auch gefährlich, weil ermüdend.

In Vaasa eingetroffen, begegneten uns nun endlich auch alle anderen Tourteilnehmer.

Schlussendlich machten sich 5 SL und ein SEL auf die Fähre nach …

🇸🇪 Schweden.

Hier stiess dann auch der sechste SL dazu – der unseres „Reiseführers“, der uns die nächsten Tage einen tollen Eindruck seines Heimatlandes liefern sollte.

Vier Übernachtungen in Umeå vergingen schnell, mit Ausflügen nach Mårdseleforsen (ein sehr beeindruckendes Naturreservat am Vindelälven), in die Gegend von Amsele / Vindeln, nach Bjuröklubb und schlussendlich nach Skellefteå, dem nördlichsten Punkt unserer Reise.

Elche – sie gelten als Symbolbild für Schweden, und tatsächlich trafen wir auch wElche. Auf einer Zuchtstation kann man diesen ungeheuer grossen, aber friedlichen Tieren nahekommen und einen Eindruck davon gewinnen, wie verheerend ein Zusammenprall eines PKW mit einem solchen Waldbewohner ausgehen wird. Der Praxisversuch blieb uns glücklicherweise erspart, allerdings sahen wir durchaus Elche am Strassenrand und mussten auch schon einmal anhalten, um eine Elchkuh passieren zu lassen

Strassenkilometer gab es für uns in Nordschweden reichlich zu absolvieren, und das in den unterschiedlichsten Qualitäten. Grundsätzlich sind die schwedischen Landstrassen in sehr gutem Zustand: zwar mit langwelligen Unebenheiten, aber mit homogener Oberfläche und daher gut befahrbar; es gibt aber immer wieder auch Teilstücke ohne Asphaltdecke, auf denen entsprechend vorsichtig gefahren werden sollte. Die zurückzulegenden Entfernungen sind enorm: Landbewohner fahren durchaus dreißig oder fünfzig Kilometer bis zur nächsten Einkaufsmöglichkeit oder Poststation. Daher haben schwedische Gebrauchtwagen oft astronomische Kilometerstände!

FunFact am Rande: in Schweden besteht schon vielen Jahrzehnten eine Regelung, die es ermöglicht, dass auch Jugendliche mit 15 Jahren ohne Führerschein ein Fahrzeug bewegen dürfen, wenn dieses auf 30 km/h begrenzt ist und keine Rücksitzbank, dafür aber eine Ladefläche aufweist (sog. „A-Traktor“). Und eine solche Ladefläche kann ja durchaus auch einfach in den Heckdeckel eines W201 eingesetzt werden. Die junge Besitzerin ist jedenfalls sichtlich stolz auf ihren Mercedes, auch wenn sie jetzt 18 Jahre alt ist und dann auf ein „richtiges Auto“, einen Saab, umsteigen wird. Der „201-Traktor“ wird dann weiterverkauft …

In Skellefteå findet im Sommer offenbar jeden Mittwoch ein freies Oldtimertreffen statt – wir waren passenderweise auch an einem Mittwoch dort und staunten. Unsere alten Benze waren nicht sehr interessant für das Publikum; stattdessen gab es Unmengen auch umgebauter und sehr gepflegter US-Cars sowie natürlich Saab, Volvo, VW, etc. zu sehen. 

Schweden ist in Sachen „Oldtimer“ etwas großzügiger als Deutschland: Fahrzeuge älter als 50 Jahre unterlegen keinerlei Überwachung mehr, müssen zu keiner technischen Kontrolle und können offenbar auch recht kreativ modernisiert und umgebaut werden; die „Zustandsfetischisten“ und Lordsiegelbewahrer des deutschen H-Kennzeichens wären entsetzt.

Weiter nach Süden: in Mannaminne finden wir das nächste Quartier und ich muss sofort an die Kulissenstadt des vdh in Ornbau denken! 

Ganz sicher: Horst Stümpfig und Anders Åberg sind Geistesverwandte. Auch hier gibt es eine U-Bahn, die von Unbekannten mit Graffitti „verschönert“ wurde. Auch hier hat sich der „Chef“ über das Graffitti geärgert – aber nicht des Graffittis wegen, sondern weil der Künstler sein Werk nicht signiert hat und somit nicht zu seiner Kunst zu stehen scheint. 

Ein liebevoll gestaltetes Hotel, ein Mammut, ein Düsenjäger, eine Strassenbahn von 1939 und ein ostdeutscher Trabant neben einer Büromaschinensammlung und Windows 3.11; beeindruckend eine über sechs Meter große Weltkugel in einem eigens aufgestellten Gebäude, die sich jammernd und quietschend von einem Fahrradreifen angetrieben um ihre schräggestellte Achse dreht. Hier hat die Fantasie freie Bahn und uns hat es sehr gut gefallen. 

Aber Mannaminne hat ein Problem: seit dem Tod des Gründers Anders Åberg im Jahr 2018 ist die Hauptfinanzquelle versiegt, und die Stiftung sucht jetzt dringend nach Einnahmequellen. Anders Åberg wollte ursprünglich sogar eine über 4 km lange Bahnlinie zum nächsten Ort bauen und betreiben; dieser Plan konnte jedoch trotz bereits vorliegender Genehmigungen und bereitliegenden Gleismaterials nicht mehr umgesetzt werden.

Als Tagesausflug ist die Insel Ulvön ist per Schiff nach einer kurzen Autofahrt gut erreichbar und bietet Entspannung bei herrlichem Ausblick sowie ein Hotel, in dem wir zwar nicht nächtigen werden, aber mit Wonne unserer mittäglichen Diät frönen können – sensationell!

Bald müssen wir weiter; der nächste Stopp heißt Bilmuseum Härnösand.

Es handelt sich um das größte Automuseum Schwedens; wir finden erfrischend wenige Porsche, BMW und Mercedes, dafür aber wie schon in Skellefteå Unmengen amerikanischer und skandinavischer Produkte. 

Was mir sehr gut gefällt: hier stehen sich oft ganze „Jahrgangsreihen“ verschiedener Modelle gegenüber, deren Evolutionsschritte man so direkt miteinander vergleichen kann. Und sehr skurril sind die Scheinwerfer-Reinigungsanlagen, die in Skandinavien seit spätestens 1972 vorgeschrieben waren. Ich bin ja im Geiste versucht, nach passenden Alternativteilen für die nicht mehr lieferbaren SWRA-Teile unserer Sterne zu suchen … aber die vielen unterschiedlichen Wischerchen verwirren mich und ich stolpere stattdessen über einen M116 auf einem Montagegestell, der hier als Teil einer „Motorenparade“ aufgebaut steht.

Eine Überdosis Altmetall, möchte ich diagnostizieren – wir fallen nach ein paar Stunden wieder in die bequemen Sitze unseres W126 und rollen weiter.

In Sigtuna haben wir ein sehr ansprechendes Hotel (eine stilsicher und geschmackvoll umgebaute ehemalige Internats-Schule!) und treffen unerwartet einen SLC-Fahrer aus Schweden – Per ist sehr sympathisch, trägt weder Geweih noch Wikingerbart und begleitet uns durch einen sehr schönen Abend.

Das Städtchen selbst ist ganz hübsch, aber wohl auch in Schweden eher unbedeutend. Unser Highlight stellt der Besuch der „First Destillery“ mit einer Gin-Verkostung dar – hey, das ist wirklich interessant. Den enormen Einfluss unterschiedlicher Tonic-Sorten hätte keiner der Teilnehmer geahnt.

Allmählich nähern wir uns nun auch Stockholm, wo wir erneut drei Nächte bleiben. Das Hotel liegt wieder sehr zentral, aber die Tiefgarage ist eine echte Herausforderung und eindeutig NICHT für aktuelle Fahrzeuge geeignet – der schmale aber lange SEL war nur mit Mühe hinein- und hinauszubringen. Blöd ist nur, dass das Parken in Stockholm unglaublich teuer ist.

Stockholm ist deutlich größer und quirliger als Helsinki, und wir absolvieren ein „Touristenprogramm ohne Auto“. Die Auswahl ist ja groß: Drottningholm, Skansen, ABBA-Museum, Wasa-Museum, etc. Das ist nicht alles zu einmal schaffbar und so bleibt ein Anreiz, Stockholm irgendwann noch einmal zu besuchen.

Hier in Stockholm verabschieden wir uns dann nach drei Nächten schliesslich auch von unserem Reiseführer, der mit seinem SL nun eine innerschwedische Heimreise von über 700 km bis in den Norden antritt – wir starten stattdessen Überland nach Göteborg, wo wir nachmittags per Stena-Line nach Kiel einschiffen wollen.

Epilog

Tja – und Deutschland empfängt uns nicht sehr angenehm: volle Autobahnen in schlechtem Zustand, stop’n’go-Verkehr, teurer Sprit, schmutzige Toiletten … wir hatten das ja so gar nicht vermisst. 

Die Heimreise nach Süddeutschland pünktlich zum NRW-Ferienbeginn nervt ganz besonders, aber wir bemerken zum Trost: eine alte S-Klasse ist heute noch ein vorzüglicher Langstreckenwagen.

Nach 4.214 km und 443,27 Litern E10 kommen wir wieder an, ziemlich müde, aber hochzufrieden.

Die gefahrene Strecke war länger als vermutet, alle Teilnehmer sind pannen- und unfallfrei durchgekommen und wir haben eine tolle Tour hinter uns.

Hat sich das gelohnt? Ja. Unvergesslich.

Danke an unsere Mitfahrer und insbesondere den „Reiseleiter“!

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