In einem anderen Beitrag („Tücken alternder Technik„) habe ich erwähnt, dass mich derzeit die Digitalisierung einiger Mitschnitte von Diskoveranstaltungen aus meiner Studentenzeit beschäftigt … dies sowie die aktuell laufende Diskussion um einen möglichen Abriss der alten Mensa der Universität des Saarlandes bringt mich auf den Gedanken, noch einen etwas intensiveren Blick zurück in die 80er Jahre zu werfen.
Abriss der Mensa? Ja, das wird tatsächlich ernsthaft diskutiert. Die Mensa stammt aus dem Jahr 1970 und scheint mittlerweile ziemlich marode (kein Wunder, bei der legendären Finanzkraft des Saarlandes und der Qualität der dort getroffenen politischen Entscheidungen über viele Jahrzehnte). Mangelnde Pflege und unterlassene Unterhaltsarbeiten zeitigen ihre Folgen.
Während das Gesamtkunstwerk von Architekt Walter Schrempf und Bildhauer Otto Herbert Hajek 1969 mit dem Architekturpreis des Bundes Deutscher Architekten ausgezeichnet und in den 1970er Jahren in einschlägigen Fachzeitschriften viel beachtet und gepriesen wurde, geriet die Mensa über die Jahre in Vergessenheit. Die Farbe ist verblasst und der Beton marode geworden. Einige der Versorgungsleitungen mussten bereits notdürftig ersetzt werden.
Zitat aus https://www.uni-saarland.de/fileadmin/upload/fakultaet-p/hok/Presse/50_Jahre_Mensa__2_.pdf – ein absolut lesenswertes Dokument mit vielen historischen Bildern und Informationen.

Meine Erinnerungen an das Mensagebäude gehen zurück bis zur Mitte der 1980er Jahre … kurz nach dem Abitur und während der Studienzeit war das für unsereiner eine feste Anlaufadresse – nicht fürs Mittagessen (denn nur wenige aus unserem Kreis haben an dieser Hochschule studiert), aber für die regelmäßigen Abendveranstaltungen. Das Gebäude machte schon damals einen angeschmuddelten Eindruck, und insbesondere die sanitären Anlagen waren seinerzeit bereits prekär.

Dienstag- und Freitagnacht fand im Untergeschoß der Mensa „Hirschmanns Studentendisko“ statt. Beginn war schon gegen 19 Uhr, aber so richtig Stimmung kam meist ziemlich genau um 22:35 h auf – und die Party lief dann bis morgens um vier. Aktion in der Disko wurde damals übrigens weithin sichtbar durch eine Verkehrsampel auf dem Dach der Mensa signalisiert, die wild in ihren drei Farben blinkte.
DJ Karl-Heinz „Charly“ Hirschmann (*12.11.1928, ✝︎07.12.2006) war ein Urgestein der Szene und wusste genau, wie er das Musikprogramm zu fahren hat.
Samstagabends gab es immer mal die „Oldie-Disco“ – die war ja auch ganz lustig, wurde aber von irgendwelchen anderen DJs veranstaltet und hatte bei weitem nicht denselben Kultfaktor.
Was machte denn gerade die „Hirschmann-Disko“ so interessant?
Klar – die großen Tanzpaläste in der Stadt (z.B. das „Gloria“) verlangten Eintritt, für den Hirschmann reichte ein Studentenausweis oder die Bekanntschaft mit einem Türsteher.
Die Getränkepreise im Canossa / Le Métro waren absolut zivil, und bei Bedarf konnte man auch einen günstigen Imbiss bekommen.
Es gab keinen Dresscode, die Atmosphäre war locker, aber es konnte im Laufe der Nacht drangvoll eng werden. Hilfskräfte kreisten durchs Gedränge und sammelten leere Gläser ein; trotz allem war es ungeheuer friedlich (ich kann mich an keine einzige Prügelei oder ernsthafte Auseinandersetzung erinnern).
Mein persönliches Highlight: an einem heissen Abend im Sommer 1988 fuhr einer mit dem Motorrad durch den Eingangsbereich bis vor die Tanzfläche.
Und „Charly“ Hirschmann, damals schon über sechzig, sass im weiten Hemd, mit graublonder Mähne, einem Stirntuch und glasigem Blick hinter seinen Plattentellern (damals kamen dann auch CD-Spieler dazu – 2 x Sony CDP-950, mit „Disc-Memo“-Funktion) … man konnte seine Musikwünsche auf kleine bereitliegende Zettel notieren und ihm zuschieben. Oft gab’s – wenn überhaupt – nur einen abschätzigen Blick, manchmal grinste er aber breit und fing an, in seinen Schätzen zu wühlen. Und ganz selten griff er zum Mikrofon und machte mehr oder weniger unverständliche Durchsagen 😁. Er war DER Patron des Ganzen, der Chef im Ring. Ich habe damals ziemlich gestaunt, dass ein Typ in seinem Alter zwei- oder dreimal in der Woche die Nacht zum Tage macht …
Mitte der 90er war ich wohl letztmals in der „Hirschmann-Disko“ – klar, denn ich wohnte ja seit 1992 nicht mehr im erweiterten Umkreis, sondern kam nur noch gelegentlich in Saarbrücken vorbei.
Charly Hirschmann hat – so meine ich gehört zu haben – bis um die Jahrtausendwende weitergemacht; seine Todesanzeige aus dem Dezember 2006 hatte ich mit einem Dreivierteljahr Verspätung erst gefunden.
Aber ich denke heute noch immer wieder mal an die langen Abende im Le Métro und unseren liebenswert-skurrilen Gastgeber.
Abschliessend noch ein Blick in die lokale Presse…


In der Saarbrücker Zeitung vom 26.12.2008 wird die Schliessung des Canossa thematisiert und ein Überblick über die Historie gegeben:
An die Anfänge erinnert sich eine ehemalige Studentin: „Dienstags gingen wir immer ins Unikino, und anschließend gab es Disko im Ausländerclub.“ Dort ging es eher ruhig zu. Das änderte sich schlagartig, als sich einer der zahlreichen Handwerker der Uni zum Diskjockey berufen fühlte.
„Karl-Heinz Hirschmann war ein Original mit seinen lang wallenden Haaren und seinen Glubschaugen“, entsinnt sich die Dame an diese „lustige Zeit“. Als Hirschmann wenig später in die bereits existierende Gaststätte „Canossa“ umzog, folgte ihm seine Fangemeinde. Das war 1971, und fortan war dienstags Canossa-Tag.
Ende der 70er Jahre endete die Ära Hirschmann erst einmal. Die damaligen Betreiber, Besitzer ist das Studentenwerk, trennten sich von Charly. Warum genau, das weiß auch Stefan Emrich nicht, der das ziemlich heruntergekommene Canossa 1986 übernahm. Emrich, der zuvor schon die Uni-Konzerte, unter anderem mit Gruppen wie BAP und Depeche Mode organisiert hatte, brachte den Laden mit einer konsequenten Linie wieder auf Vordermann.
Die Türsteher ließen fortan nur noch Studenten rein, von denen jeder einen Nicht-Studenten mitbringen durfte. Und Emrich holte Hirschmann als DJ wieder ins Canossa, das bis 1991 „Le Métro“ hieß. Benutzt hat diesen Namen aber niemand. Als der Namensschutz auslief, durfte das Canossa auch offiziell wieder Canossa heißen. „Um 21 Uhr ging die Musik los, und spätestens um halb elf brummte der Laden“, erinnert sich Emrich. Im Sommer wurde draußen gegrillt.
Ende der 90er wurde die Dienstags-Disko eingestellt…
https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/saarbruecken/saarbruecken/saarbruecken/der-letzte-gang-ins-canossa_aid-223285


